Gesundheit

Die Kraft, die man nicht sieht

Potenzierraum steht an der Tür. Und dahinter: Bitte Ruhe. Mit zwei Ausrufezeichen Ruhe – das mag ungewöhnlich erscheinen in der Arzneimittelherstellung. Aber Ruhe ist Voraussetzung beim Potenzieren.

Weder Routine noch Maschine bestimmen dieses Tun.

Bei diesem Herstellverfahren wird die Arzneisubstanz mit einem Ethanol-Wasser-Gemisch verdünnt und von Hand rhythmisiert. Wenn potenziert wird in diesem Raum ist klar, dass die Türe geschlossen bleibt und nicht gesprochen wird. Die Fenster sind mit einem Sichtschutz versehen, der Tageslicht hereinlässt, da gute Lichtverhältnisse wichtig sind. Aber alles andere, was ablenken könnte, bleibt draußen. Nein, hier steht auch kein Telefon und kein Computer.

Wichtig ist eine harmonische Bewegung, die kräftig genug ist und die Flüssigkeit in ein Strömen und Sprühen bringt.
Helga Betz

Helga Betz potenziert seit 30 Jahren. Weder Routine noch Maschine bestimmen dieses Tun. Es sind Menschen wie sie, die diese Impulse geben. Im Sinne der Idee, die rhythmischen Prozesse der Natur fortzuführen. Dann kann gelingen, was Helga Betz „Dreiklang“ nennt, weil sich die Herstellung einer Potenz in drei Phasen gliedert: Einwiegen (Verdünnen), Rhythmisieren und Ruhen. Heute wird ein Auszug aus der Pulsatilla, der Küchenschelle, aus dem Weleda Heilpflanzengarten potenziert. Die Tinkturenherstellung liefert den Ausgangsstoff, die Urtinktur. Die Potenz D3 soll als Bestandteil des Weleda Hustenelixiers hergestellt werden. Ein Teil der Urtinktur wird in einem definierten Verhältnis mit einem Ethanol-Wasser-Gemisch in ein Potenziergefäß eingewogen. Danach folgt das sogenannte Rhythmisieren, bei dem die Flüssigkeit rhythmisch hin und her bewegt wird.

Die Dauer ist abhängig von Art und Ursprung des Ausgangsstoffes, ob es eine Pflanze oder ein Mineral ist. Helga Betz sitzt auf einem Stuhl, die eine Hand flach am Boden des Gefäßes, die andere umschließt den Flaschenhals. Wichtig beim Potenzieren ist eine harmonische Bewegung, die kräftig genug ist und die Flüssigkeit in ein Strömen und Sprühen bringt. Helga Betz strahlt dabei Fürsorge und hohes Verantwortungsbewusstsein aus; schließlich trägt sie dazu bei, den Menschen Heilmittel zugänglich zu machen.

Das Ende der Ruhephase ist jedes Mal ein besonderer Moment: Eine Potenz ist entstanden.

Ab einem Gewicht von zwei Kilo hilft eine sogenannte Potenzier-Schaukel. In sie legt Helga Betz das größere Gefäß, um sie dann von Hand hin und her zu bewegen. Bei größeren Mengen unterstützt ein Potenzier-Wagen, der auf einer schienenähnlichen Konstruktion steht. Der Wagen schwingt zusammen mit der Bewegung des Potenzierers hin und her, entzieht der Flüssigkeit die Schwere und führt sie in die Leichte.

Nicht zu vergessen der letzte Teil des „Dreiklangs“: das Ruhen. Das ist die Phase, wenn Helga Betz die Flüssigkeit abstellt. Das Ende der Ruhephase ist jedes Mal ein besonderer Moment: Eine Potenz ist entstanden. Aus der Pulsatilla Urtinktur ist jetzt die Potenz D1 entstanden. D steht für Dezimal. Das Homöopathische Arzneibuch (HAB) sieht bei Dezimalpotenzen im Normalfall ein Verhältnis von Ausgangssubstanz zu flüssigem Arzneiträger von eins zu neun vor.

Bei der Herstellung einer Potenz D1 kann das Verhältnis von Urtinktur und Medium abhängig von der Konzentration oder dem Gehalt der Urtinktur variieren und ein anderes Verhältnis vorgeschrieben sein. Da für das Weleda Hustenelixier eine D3 benötigt wird, muss die Flüssigkeit noch weitere zweimal potenziert werden. Also werden ein Teil der eben entstandenen Potenz und neun Teile Ethanol- Wasser-Gemisch eingewogen. Durch erneutes Rhythmisieren entsteht nach der Ruhephase die D2, im nächsten Schritt die D3. Mit jeder neuen Potenz ist am Ende weniger von der Ausgangssubstanz enthalten. Nach homöopathischem Verständnis heißt das aber nicht, dass sie deswegen weniger wirksam ist – im Gegenteil. Das Wesentliche der Ausgangssubstanz – ihre Information – kommt in der Potenz zum Vorschein, als eine Kraft, die durch den Rhythmus geweckt wurde.

Helga Betz : “Nie vergesse ich, wie ich mit Anfang zwanzig zu Weleda kam und meine Chefin mich ansprach, ob das nicht was für mich wäre, das Potenzieren. Schon damals hatte ich Hochachtung vor dieser so besonderen Tätigkeit, die man übrigens durch eine firmeninterne Ausbildung erlernen kann. Theoretisch ist die Methode schnell erklärt: Zentral ist zum Beispiel das Bewegen der Flüssigkeit in Form einer liegenden Acht, dem Symbol für Unendlichkeit. Aber Theorie ist nur das eine. Immer wieder habe ich in meiner über 30-jährigen Tätigkeit erlebt, dass Kollegen Versuche mit dem Potenzieren gestartet haben und überrascht waren, wie schwer es ist, die Bewegung in Übereinstimmung mit dem eigenen Rhythmus zu bringen. Ein Kollege stellte fest: Das ist nichts für mich. Bei mir selbst war es anders. Ich konnte mich gleich gut damit verbinden. Bin ich heute wirklich in der Lage für diese so bedeutsame Tätigkeit? Diese Frage muss ich mir jeden Tag neu stellen. Nicht nur einmal hat es das in all den Jahren gegeben, dass ich sie für mich mit einem Nein beantwortet habe. Man selbst übernimmt dann vorübergehend andere Tätigkeiten. Bis die eigene Verfassung einen wieder das tun lässt, wozu man sich berufen sieht.” 

Author

Helga Betz

Weleda Mitarbeiterin Potenzierlabor

Helga Betz potenziert seit 30 Jahren bei Weleda Schwäbisch Gmünd.