Wir verstehen Vielfalt als Auftrag und inneres Anliegen

Ein Interview mit Elke Abendschein, Head of Human Resources Weleda Group, und Clara Neumann, Human Resources Competence Center Managerin

Weleda zum Thema Diversität

Diversität und Inklusion zu fördern ist ein maßgeblicher Teil der Weleda Unternehmenskultur. Wie wir diese Werte tagtäglich umsetzen, zeigt sich anhand vieler konkreter Beispiele und den Geschichten der Menschen, die bei Weleda arbeiten. 

Was bedeutet Vielfalt für Weleda?

Clara Neumann: Zunächst einmal bedeutet es, dass alle Mitarbeitenden gleichbehandelt werden müssen – unabhängig von Alter, Geschlecht, sozialer oder ethnischer Zugehörigkeit, Religion/Weltanschauung, sexueller Orientierung und körperlicher, seelischer und geistiger Verfassung. Als anthroposophisch inspiriertes Unternehmen ist Vielfalt seit 100 Jahren Teil der Weleda Identität. Ein Weleda Grundsatz ist, Vielfalt „als Ressource“ zu sehen und damit Lebendigkeit im Unternehmen zu fördern. Dies muss sich sowohl auf die Gestaltung unserer gesamten Lieferketten als auch nach Innen ins Unternehmen beziehen. 

Elke Abendschein: Wir verstehen Vielfalt als Auftrag und inneres Anliegen. Unterschiede sind eine wichtige Bereicherung für unser Unternehmen. Dabei steht nicht im Vordergrund, was alleine für Weleda das Beste ist, sondern auch für den einzelnen Menschen. Wir fördern Vielfalt aus dem Motiv heraus, unsere Mitarbeitenden bestmöglich zu unterstützen. Ein Beispiel: Weleda bietet das Seminar „Biografie-Tage“ an. In diesem Seminar können Mitarbeitende innehalten und sich Gedanken machen zu wesentlichen Fragen wie „Wie geht es mir? Kann ich Beruf und Privatleben gut vereinbaren? Wo will ich noch hin?“. Dies kann dazu führen, dass jemand für sich erkennt, dass ganz andere Wege in der Zukunft liegen – vielleicht sogar außerhalb von Weleda. Dieses Format anzubieten ist also risikoreich für uns, aber gleichzeitig eine Chance, dass Mitarbeitende in die Eigenverantwortung kommen können, ihre Entwicklung in die eigene Hand zu nehmen.

Diese Form von Diversitätsmanagement ist unüblich – vielleicht sogar aufwändig.

CN: Allen gerecht zu werden stellt uns oft vor Herausforderungen – auch da individuelle Lösungen natürlich manchmal mehr Aufwand kosten. Aber wie im bereits genannten Beispiel beschrieben, ist es uns ein Anliegen als werteorientiertes Unternehmen „besondere“ Angebote zu machen, die unserer Kultur und den Menschen, die sich für Weleda mit großem Engagement einbringen, gerecht werden.  

Wie engagiert sich Weleda noch?

CN: Wir haben einige besondere Angebote, darunter für Menschen, die Angehörige pflegen, es gibt Eurythmie-Kurse, einen Chor und am Standort Schwäbisch Gmünd haben wir ein Eltern-Kind-Zimmer und sogar eine eigene Kita. Darüber hinaus bieten wir zum Teil mit externen Partner:innen Unterstützung in besonderen Lebenslagen an, etwa bei privaten Umbruchsituationen. In der Corona-Krise haben wir eine „Resilienz-Seite“ mit praktischen Tipps und Impulsen für Körper, Seele und Geist gestartet und individuelle Sprechstunden für Mitarbeitende eingeführt. Wir haben darüber hinaus Diversity-Programme: Vor Jahren haben wir ein generationenübergreifendes Netzwerk gestartet, in dem frühere Mitarbeitende, die in Rente gegangen waren, ehrenamtlich Kinder von anderen Mitarbeitenden betreuten oder Klavierunterricht gaben. Danach kam das Programm „Vielfalt gewinnt!“, mit dem wir uns für geflüchtete Menschen einsetzen, die kulturelle Vielfalt im Unternehmen fördern wollen und zu unserer großen Freude mittlerweile mehrere Menschen mit Fluchthintergrund in der Ausbildung haben. Ein kleines, aber veranschaulichendes Beispiel für unser Engagement ist auch die Geschichte, wie eine Frau mit Kopftuch ein Praktikum in einem Produktionsbereich mit strengen Kleidungsvorschriften für steriles Arbeiten absolviert hat. 

Das war im Rahmen eines Programms zur beruflichen Orientierung. Was ist genau passiert?

CN: Die Hygienevorschriften sahen vor, dass die Haare mit einem besonderen Häubchen bedeckt werden. Für die Praktikantin war es keine Option, das Kopftuch abzulegen, was wir selbstverständlich respektiert haben. Mit dem herkömmlichen Häubchen für die Haare wäre ihr Kopftuch aber nicht abgedeckt gewesen. Um trotzdem die Hygienevorschriften einzuhalten, ist ein Kollege auf die Idee gekommen, ihr einen Ganzkörper-Maleranzug mit Kapuze vorzuschlagen. Ein anderer arabisch sprechender Kollege hat ihr die Situation ausführlich erklärt, weil mir wichtig war, dass sie versteht, dass wir sie nicht anders behandeln wollen, sondern wir dies tun, um die internen Vorgaben zu berücksichtigen und ihren Bedürfnissen trotzdem gerecht zu werden. Sie hat sich dann dafür entschieden. Wir könnten viele Beispiele nennen, in denen wir uns entschließen, individuell nach Lösungen zu suchen, auch wenn es vielleicht mehr Aufwand bedeutet. Als wir zum Beispiel Kurzarbeit angemeldet hatten, hat Weleda entschieden nicht allen Mitarbeitenden die gleiche Arbeitszeitreduktion vorzugeben, sondern den Teams ermöglicht, sich selbst organisiert aufzuteilen. In manchen Teams hat dann die Person, die parallel drei Kindern betreuen musste, mehr reduziert und eine andere Person aus dem Team häufiger gearbeitet.  Unser Grundsatz lautet: Alle Menschen sind gleichwertig, aber eben „nicht gleich”. Uns geht es auch nicht darum, möglichst vielen etwas zu ermöglichen, sondern eine qualitativ hochwertige Begleitung sicherzustellen, die den Menschen ernst nimmt, um den es geht. Vielfalt in diesem Sinne braucht Gestaltung und Menschen, die sich dafür engagieren wollen. 

Wie sieht es mit Teilzeit im Unternehmen aus?

EA: Weltweit haben wir ca. 2500 Mitarbeitende, davon arbeiten ca. 1700 in Vollzeit und ca. 800 in Teilzeit - auch in leitenden Funktionen. Weltweit beschäftigen wir 400 Führungskräfte, davon ca. 200 in Deutschland und der Schweiz, 40 Prozent davon sind Frauen. Mehrere Frauen teilen sich in Teilzeit ein Führungstandem. Weleda bietet auch die Möglichkeit, Vergütung in Freizeit umzuwandeln, flexible und individuelle Arbeitszeitmodelle und hat eine sehr offene Regelung zu mobilem Arbeiten.

CN: Mit der Initiative für „Kollegiale Führung & Zusammenarbeit“ macht sich die Weleda außerdem auf den Weg zu einem neuen Führungsverständnis - für mehr Augenhöhe und mehr geteilte Verantwortung, etwa durch Führung im Team. Wir hoffen, dass dies zukünftig dazu beitragen wird, dass sich viel mehr Mitarbeitende Führung zutrauen werden – aus allen Geschlechtern und Kulturen, in Voll- oder Teilzeit.

Und wie ist es mit Elternzeit?

EA: Elternzeit ist bei uns selbstverständlich möglich und es wird viel dafür getan, Mitarbeitende davor und danach bestmöglich zu unterstützen. Natürlich gelingt es nicht immer, dass alle 100 Prozent zufrieden sind, aber wir setzen uns für Eltern und ihre Belange ein – meiner Erfahrung nach mehr als viele andere Unternehmen. Das ist also schon eine Besonderheit bei Weleda, auch da es darauf keinen rechtlichen Anspruch gibt.

CN: Wir bieten individuell gestaltete Teilzeitmodelle an und geben Mitarbeitenden mit dem Angebot „Freizeit statt Vergütung“ die Möglichkeit, das jährliche Ferienkontingent um bis zu weitere 20 Tage zu erhöhen. In der Schweiz ermöglichen wir auch „Vaterzeit“, d.h. alle frischgebackenen Väter können innerhalb der ersten sechs Monate nach Geburt 20 Tage Vaterschaftsurlaub frei einteilen.

Welche Rolle spielt das Genderthema für Weleda?

CN: Wir haben uns in unserem Jubiläumsjahr 2021 intensiv mit dem Thema gender-faire Sprache beschäftigt: Sternchen, Doppelpunkt, Binnen-I, …? Zunächst kam schnell das Argument der Lesbarkeit und dass Texte zu lang würden. In einem kollegialen Prozess mit Beteiligten aus Marketing, Kommunikation, PR, Personal und vielen weiteren Abteilungen haben wir einen „Kompass“ für genderfaire Sprache entwickelt, der in der Schreibweise Orientierung geben soll und vor allem unsere Haltung vermittelt: In allem, was wir tun, möchten wir jedem Menschen vermitteln „Du bist gemeint.“.

Gibt es ein Gender-Pay-Gap bei Weleda? Aktuelle Erhebungen ergeben immer wieder, dass Frauen im Schnitt deutlich weniger verdienen als Männer.

EA: Bei uns werden Aufgaben bewertet und eingestuft, unabhängig davon, wer sie ausführt. Es ist ganz klar, dass wir alle gleich bezahlen wollen. Im Rahmen des neuen Gleichstellungsgesetzes überprüfen wir derzeit die Schweizer Gehälter. Andere Länder sollen dann folgen, eventuell als globale Gender Pay Gap-Analyse.

Das Thema Rassismus beschäftigt die Welt, nicht erst seit der „Black Lives Matter-Bewegung“ oder den rechts-extremistischen Anschlägen in Hanau. Dem Mitbegründer der Weleda, Rudolf Steiner, wird immer wieder eine rassistische Haltung vorgeworfen. Was entgegnen Sie?

EA: Uns ist es wichtig, mit diesem Vorwurf offen und differenziert umzugehen. Weleda lehnt jede Form von Rassismus und Diskriminierung entschieden ab. Einzelne Aussagen Steiners sind aber in der Tat rassistisch und diese lehnen wir deshalb ganz klar ab. Die Frage, ob Steiner eine rassistische Haltung hatte, ist unter anderem von einer Kommission unter der Leitung des Menschenrechtsexperten Ted A. van Baarda untersucht worden. Das Ergebnis war, dass es im Werk Steiners, das 89.000 Seiten umfasst, 16 Zitate gibt, die aus heutiger Sicht rassistisch sind, d.h. sein Werk als solches kann nicht als rassistisch bezeichnet werden. Wir als Unternehmen möchten mit unserem Handeln klar zeigen, dass wir für Vielfalt stehen und unseren Beitrag für eine offene, vielfältige Weltgemeinschaft leisten wollen.

Wie engagiert sich Weleda konkret gegen Rassismus?

CN: Im Rahmen des Programms „Vielfalt gewinnt!” haben wir zahlreiche ehrenamtliche Projekte und interne Angebote gestartet, um Bewusstsein dafür zu schaffen, dass eine offene, tolerante Unternehmenskultur von dem Engagement der Mitarbeitenden lebt.  Mitarbeitende haben Patenschaften für junge Menschen mit Fluchthintergrund übernommen, die zur beruflichen Orientierung Praktika absolviert haben, um sie bei ihrem Weleda-Einsatz individuell zu begleiten und für Fragen zur Verfügung zu stehen und bei Bedarf Hilfestellung zu leisten Die Praktikant:innen erhielten jeweils zu Beginn eine individuelle Einführung in die Arbeitskultur bei Weleda, um gut vorbereitet in den Einsatz zu starten. Wir haben darüber hinaus mehrere Jahre einen Gemüsegarten auf dem Firmengelände betrieben, in dem Mitarbeitende der Weleda und Menschen aus Schwäbisch Gmünd aus mehr als sechs Nationen gemeinsam ein eigenes Stück Garten bewirtschafteten: als Ort für den interkulturellen Austausch und für das gemeinsame Lernen. Mehr über die Lebenswirklichkeit anderer Menschen zu erfahren war auch Ziel von Dialog-Abenden nach Feierabend, die wir in den Wintermonaten statt des Gartens veranstalteten. Wir engagieren uns so beispielsweise in mehreren Netzwerken und Initiativen zum Thema Flucht und haben vor vielen Jahren in der Schweiz einen Mittagstisch mitinitiiert, um Vernetzung zwischen Politik, Verwaltung, sozialer Praxis und Unternehmen zum Thema Asyl zu stärken. Am Ende zählt vor allem, was wir täglich tun und wie wir unser Verhalten reflektieren. Weltweit arbeiten bei uns über 50 Nationalitäten. Wir alle dürfen es uns nicht leicht machen und müssen uns selbst und unsere eigenen Muster hinterfragen, um innere Vorbehalte zu erkennen und aufzulösen.

Stärkt Diversität Weleda als Unternehmen?

CN: Auch wenn dies nicht unser vorrangiges Motiv für unser Engagement ist: vermutlich ja. Es gibt Studien, die das nahelegen. Sinnorientierung verbunden mit Wirtschaftlichkeit scheint ein Unternehmen resilienter und stabiler zu machen. Dahinter steht bei uns immer die gleiche Idee, aber sie geht mit der Zeit und findet immer wieder einen anderen Ausdruck. Ich persönlich bin überzeugt, dass vielfältige Teams und multiple Perspektiven das Unternehmen bereichern. Als Weleda haben wir die Vision, heilsame Produkte und soziale Impulse in die Welt zu bringen. So sind wir als Unternehmen und als einzelne Mitarbeitende gefragt, unsere Angebote und vor allem unsere Haltung kontinuierlich weiter zu entwickeln.